Lesedusche

Hedwig Lachmann: Dämmerung im Vorfrühling

Der Tag bleicht

Der Tag bleicht. Letzte Helligkeit
Quillt aus dem ebenmässigen Gewölk.
Die Erde trocken und befreit
Von Schnee; nur hie und da die Spur
Von dünnem Eise, wie Glasur.

Die Dunkelheit wächst sanft und stät;
Ein Licht, das aufblitzt, glimmt noch matt;
Die Kinder spielen noch so spät,
Der Tagesfreuden nimmer satt.

Die Menschen schreiten säumig, wie verführt;
Und atmend heben sie das Kinn
So an die Luft, als läge drin
Für sie ein Etwas, das den Sinn
Wie eine wahre Seligkeit berührt.

aus: Hedwig Lachmann, Gesammelte Gedichte, Eigenes und Nachdichtungen, hrsg. von Gustav Landauer, Potsdam 1919.

Hedwig Lachmann

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Der Tag bleicht
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